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Nicht zur Arbeit gehen und keine Freunde treffen - Eine schwer zu bewältigende Regel für einige behinderte Menschen

David Wilke (34) bearbeitet mit einer Schleifmaschine Rahmenkonstruktionen für Gerätehäuser. Dieser Auftrag kann in der Tischlerei der Werkstatt derzeit nicht fertiggestellt werden. Foto: Julia Stange / ap marketing
Die Strandkorbproduktion steht still. Heiko Bornschein (45) und Enrico Schröter (44) sind durch die Corona-Pandemie zu Freizeit verpflichtet. Foto: Julia Stange / ap marketing
Sören Baumeister, Leiter der Rügener Werkstätten. Foto: Dr. Günther Römer

In den Rügener Werkstätten des Roten Kreuzes arbeiten rund 200 Menschen mit Behinderungen. Zum Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus hat das Land M-V verfügt, dass sie ihre Arbeitsstätte nicht betreten dürfen.Diesen Zustand können manche nur schwer aushalten.

Ihren Arbeitsplatz nicht zu betreten, fällt vielen nicht leicht. Die meisten von ihnen brauchen einen strukturierten Tagesablauf, der ihnen Halt und Orientierung gibt. „Uns ist klar, dass einigen Klienten schon nach kurzer Zeit die Decke auf den Kopf fallen wird, denn alle tun ihre Arbeit wirklich gerne und sie ist ein wichtiger Teil ihres Lebens“, erklärt Sören Baumeister, Leiter der anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, deren Träger der DRK-Kreisverband Rügen-Stralsund ist. Er und sein Team haben sich deshalb Gedanken gemacht, welche individuellen Angebote sie denen machen können, die nicht auf ihre Arbeit verzichten können, weil sie ein unverzichtbarer Teil ihrer Therapie ist. 70 behinderte Menschen leben im Wohnheim, 70 im Betreuten Wohnen und 70 weitere zu Hause. „Unsere Mitarbeiter, die übrigens alle qualifizierte Fachkräfte sind, kümmern sich auch in diesen Tagen mit großer Empathie um die Klienten, die die derzeitige Situation unterschiedlich verarbeiten. Die meisten verhalten sich ruhig und geben sich Mühe, die Hygieneregeln sowie den Abstand zu anderen einzuhalten. Vielen ist aber anzumerken, dass sie die veränderten Bedingungen nur mit großer Anstrengung bewältigen können. Besonders schwer haben es die gehörlosen Menschen“, schildert Sören Baumeister die aktuelle Situation. Betreuer, die ansonsten im Praxisbereich tätig sind, helfen jetzt im Wohnheim aus, wenn sie gebraucht werden oder halten telefonischen Kontakt zu denen, die selbständig in ihrer Häuslichkeit leben. Denn regelmäßige soziale Kontakte und das Gefühl, dass sie nicht alleine gelassen werden, sind für behinderte Menschen mit kognitiven Einschränkungen besonders wichtig. Zwölf Behinderte absolvieren derzeit in den DRK-Werkstätten ihre Berufsausbildung. Auch hier wird die Arbeit völlig anders organisiert. Einmal in der Woche versorgen die Lehrausbilder ihre Azubis mit schriftlichen Aufgaben. Dazu entwickeln sie individuelle Aufgabenpakete, die ausgetragen und wieder abgeholt werden. Doch die Einschränkungen in der Corona-Krise stellen Sören Baumeister und sein Team noch vor ganz andere Probleme. „Durch ihre Teilhabe am Arbeitsleben erwirtschaften die behinderten Menschen das Geld für ihre Löhne. Aber der Stillstand in den Werkstätten nimmt uns derzeit diese Möglichkeit“, erklärt er. Weil die Auftragsbücher der im Garten- und Landschaftsbau tätigen Gruppen derzeit gut gefüllt und die Kunden verständnisvoll sind, wird jetzt hier nach einem Notfallplan gearbeitet. Betreuer, die ansonsten ihre Klienten in der Praxis anleiten, haben entschieden, soviel wie möglich anstehende Arbeiten selbst erledigen. Aufrecht erhalten wird ebenso der Küchenbetrieb, auch wenn nun mit 80 statt 450 Essenportionen täglich auf Sparflamme gekocht wird. In der Tischlerei geht es ebenfalls weiter mit der Auftragserfüllung durch die Betreuer. „Seit dem 30. März nähen zehn Kollegen die dringend benötigten Mund-Nase-Masken, um die uns der DRK-Landesverband und der Kreisverband gebeten haben. Diese besondere Situation erfordert von uns allen außergewöhnliche Leistungen und vor allem Solidarität. Dazu gehört die Sorge um den Einzelnen genauso, wie individuell angepasste Tätigkeiten“, meint Sören Baumeister und fügt hinzu: „Ich denke, es wird uns gelingen, die uns anvertrauten Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen trotz der Corona-Krise gut zu betreuen und – wenn es die Situation erfordert – auch entsprechend zu beschäftigen, damit sie diese besonderen Herausforderungen gut bewältigen. Bereits jetzt freuen sich alle darauf, wieder gemeinsam den Tag zu gestalten – während der Arbeit und in der Freizeit.“ cm/drk
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